Wer von uns ist eigentlich der Abgefuckteste?

Maria Pourchets etwas bemühter Houellebecq-Despentes-Flaubert-Mix "Feu" macht schlechte Laune

Veröffentlicht am
29.8.2023
Gregor Schuhen

Gregor Schuhen

RPTU in Landau
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Glaubt man den Pressestimmen, hat Maria Pourchet im Jahr 2021 mit ihrem Roman Feu, der vor kurzem von Claudia Marquardt ins Deutsche übertragen wurde, ein regelrechtes Meisterwerk vorgelegt: „eine sehr französische Geschichte über eine entflammte Leidenschaft“ schreibt Mara Delius in der WELT, „ein Generationenroman über die Fallstricke weiblichen Begehrens“, urteilt Meike Feßmann im Deutschlandfunk, ein „rasanter Kunstritt“ resümiert Sula Textor auf literaturkritik.de. Auch Kollegen und Kolleginnen geizen nicht mit Lob: Leïla Slimani findet Pourchet „brillant und kraftvoll“, Frédéric Beigbeder sieht in Pourchet gar einen „gutgelaunten Houellebecq“. Zudem stand Feu vor zwei Jahren auf der Longlist des Prix Goncourt, was aus dem Roman in Frankreich schnell einen Bestseller machte. Eigentlich, so könnte man denken, und so dachte auch ich, kann doch beim Erwerb dieses Romans ob der opulent dargebotenen Vorschusslorbeeren nichts schiefgehen, auch wenn man sich doch durchaus fragen könnte, was oder wer denn bitteschön ein gutgelaunter Houellebecq sein soll? Die Lektüre des Romans blieb eine passende Antwort schuldig – mir kam eher der Gedanke an einen schlecht recycelten Houellebecq, aber der Reihe nach. Worum geht es in Feu?

Laure arbeitet in Paris als Unidozentin, ist mit einem Arzt verheiratet, mit dem sie zwei Töchter hat. Véra, die ältere der beiden, interessiert sich mehr für feministischen Protest als für den regulären Lehrstoff, was ihr einigen Ärger mit dem Lehrpersonal einbringt. Insgeheim beneidet Laure ihre Tochter, weil in deren Leben noch deutlich mehr passiert als in ihrem eigenen. Die vier leben in einem Eigenheim in einem Pariser Vorort und führen dort das Leben einer bourgeoisen Vorzeigefamilie, wäre da nicht, man ahnt es schon, die zunehmende Langeweile der 40-jährigen Ehefrau, die sie schließlich in die Arme des Investmentbankers Clément treibt. Eigentlich möchte Laure ihn nur für eine Konferenz als „Mann aus der Praxis“ gewinnen, doch gleich beim ersten Treffen entzündet sich der Funke der Leidenschaft, der natürlich nur wenig später das titelgebende Feuer entfacht. Nun ist Clément nicht gerade der proaktiv vorgehende Provinz-Casanova Rodolphe de Boulanger, der sein Opfer Emma Bovary mithilfe abgeschmackter, romantischer Plattitüden ins Bett zu kriegen versteht. Wir sind ja schließlich nicht mehr im 19. Jahrhundert! Nein, Clément arbeitet für ein Finanzunternehmen irgendwo in den gläsernen Türmen in der Défense, weiß mit seinem ganzen Geld nicht wohin und befindet sich in einem noch weiter fortgeschrittenen Stadium der Frustration als Laure. Frauen tauchen in seinem Leben schon seit langem nur noch auf Pornoportalen oder als Prostituierte auf, er leidet schon seit seiner Kindheit unter dem harten Regime einer sadistischen Mutter und verbringt seine Freizeit obsessiv mit Lauftrainings für den nächsten Marathon. Seine Fitnessuhr, die ihm ständig und in Echtzeit seine Vitaldaten liefert, ist sein einziger Bezugspunkt zu sich selbst. Schon mehrfach hat er während der Arbeit darüber nachgedacht, eines Tages aus dem Fenster zu springen, um seinem Ennui ein abruptes Ende zu bereiten. Das einzige, was ihn noch davon zurückhält, diesen letzten Schritt zu tun, ist sein geliebter Hund, der – Vorsicht: psychoanalytische Raffinesse! – auf den Namen Papa hört. Vermutlich ist Clément der Grund, warum sich Houellebecq-Reminiszenzen förmlich aufdrängen – die Frage lautet nur: Ist er nur ein wohl kalkulierter Epigone, ein emotional verkrüppelter und zugleich körperlich fitter Wiedergänger typischer Houellebecq-Wracke oder am Ende doch nur ein postmodernes Pastiche, ein Sample? Entweder ist mir die Ironie entgangen oder Maria Pourchet trifft nicht meinen an vielen Houellebecq-Romanen geschulten Humor. Ich finde die Figur in ihrer ostentativ-dekadent-depressiven Verkorkstheit einfach nur misslungen. Wie sieht es mit Laure aus? Auch bei der weiblichen Hauptfigur lassen sich die Einflüsse kaum übersehen: Hier ein bisschen Flaubert – kommt immer gut! –, dort ein bisschen Slimani (die ja schon in Dans le jardin de l’ogre ihrerseits die Ehebruchsfantasien des grimmigen Normannen dem heutigen Zeitgeist angepasst hatte) und das ganze angereichert mit ein bisschen Despentes. Alles, wirklich alles hat man schon bei den genannten Inspirationsquellen origineller, raffinierter und vor allem unterhaltsamer gelesen. Natürlich wird aus dem per SMS initiierten Amour fou zunächst mal ein Kampf gegen die Impotenz des Bankers. Als der schließlich sein Stehvermögen wieder im Griff hat, steht dem schmutzigen Sex in Parkhäusern und an anderen pittoresken Orten nichts mehr im Wege, bis Laure sogar beschließt, aus ihrem familiären Ennui auszubrechen. Zu diesem Zeitpunkt bekommt der geliebte Hund aber schon seine Krebsdiagnose, was dem Ganzen eine neue katastrophale Wendung gibt. Wer im Wettbewerb um das Abgefucktsein am Ende den Sieg davonträgt, soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden – es spielt jedoch ohnehin nach rund 300 mühsamen Seiten keine allzu große Rolle mehr.

Das einzig Interessanteste an Feu ist sicher seine Kompositions- und Erzählweise. Abwechselnd tauchen wir ein in die Gedankenströme der beiden Hauptfiguren: Laure redet mit sich selbst in der Du-Form, ab und zu adressiert sie auch ihre verstorbene Mutter und Großmutter, um sich vor ihnen für ihren Ehebruch zu rechtfertigen. Clément hingegen redet mit seinem Hund Papa, seinem einzigen innigen Sozialkontakt. Indem Pourchet gemeinsam erlebte Ereignisse jeweils aus beiden Perspektiven erzählt, weiß man schnell, dass es wohl zu keinem romantischen Happy End kommen wird – eher im Gegenteil. Es liegt also nicht an mangelnder Schreibkunst selbst, dass der Roman insgesamt als quälend bewertet werden muss. In der Psychoanalyse spricht man von Übertragung, wenn eigene negative Gefühle auf das Gegenüber projiziert werden. Im Fall von Feu ist es ganz ähnlich, da die selbstquälerischen Tendenzen von Laure und Clément 1:1 auch beim Leser ankommen. Wenn das ein gutgelaunter Houellebecq sein soll, ist mir der schlechtgelaunte deutlich lieber.

Maria Pourchet: Feu, Paris: Fayard 2021, 360 S. Im Jahr 2023 in der deutschen Übersetzung von Claudia Marquardt unter dem Titel Feuer bei Luchterland erschienen.

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