Ich wusste früh, dass ich über mich und mein Leben schreiben wollte: unverblümt, ungeschützt, direkt, ohne das Kostüm der Fiktion. Doch fühlte sich DER BLOSSE GEDANKE daran vermessen, ja, verräterisch an.
Als Klassenübergänger:in war ich der Überzeugung, kein erzählenswertes Leben zu haben. Auch fehlte mir meinem Empfinden nach eine ‚eigene‘ Sprache. Mein von Dialekt bereinigtes Hochdeutsch erschien mir zu künstlich und zugleich zu simpel – die typisch paradoxe Scham der “transclasse“ (Chantal Jaquet).
Inzwischen sage ich „ich“, auch damit andere „ich“ sagen. Ich versuche, eine Sprache zu finden für die soziale Scham. Mit jedem Text entferne ich mich dabei weiter von der Welt meiner Kindheit und Jugend; denn die Autofiktion verstößt gegen jede Regel meines Herkunftsmilieus.
Das aber geschieht nicht ohne Schmerz. „Im Dialekt der Normandie bedeutet ‚ambition’ nicht nur ‚Ehrgeiz, Ambition‘“, schreibt Annie Ernaux in Une Femme (dt. Eine Frau), „sondern auch ‚Trennungschmerz.‘“ Mein Schreiben ist geprägt durch diese zweifache ambition.
Nicht zufällig suche ich nach möglichst klaren Worten. Ernaux interpretiert die écriture blanche ihrer Literatur, die sie selbst auch als écriture plate bezeichnet, als eine Art „Sühne“ für die begangene Klassenflucht.
Ich bilde mir ein, dass es mir vor allem darum geht, in Verbindung bleiben zu wollen. Etwa indem ich diejenigen Worte wieder-hole, die ich einst so sorgsam aus mir verbannt habe.
So macht etwa ein Ausdruck wie DER BLOSSE GEDANKE darauf aufmerksam, dass Gedanken riskieren, nackt da zu stehen; beschämt zu werden – gerade auch im Resonanzraum der Literatur. Dieses Feld mit autofiktionalen Rissen und Furchen zu durchziehen ist Teil meiner ambition.
Daniela Dröscher ist Autorin mehrerer Romane und Theaterstücke. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch "Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft (Hoffmann&Campe 2018), in dem sie ein eindrückliches Portrait ihrer sozialen Herkunft liefert. Im Interview sprach sie mit uns über das Buch, das Finden einer geeigneten Sprache und ihren Eribon-Moment. Zum Interview gelangen Sie hier.
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